Der Reichtum hat eine Geschichte. Nicht nur, weil es gerade in der Schweiz eine hohe Kontinuität in der Vermögensweitergabe, etwa durch Erbschaft, gibt. Darauf haben in den letzten Jahren verschiedene Studien hingewiesen. Einige davon finden sich in den beiden Büchern „Reichtum in der Schweiz“ (2002) und „Wie Reiche denken und lenken“ (2010) erwähnt. An dieser Stelle sollen weitergehende historische Fakten zum Reichtum in der Schweiz präsentiert werden. Dabei handelt es sich auch um Erkenntnisse aus teilweise schon etwas älteren historischen Darstellungen, die es nach wie vor zu rezipieren und mit aktuellen Überlegungen zu verbinden lohnt.

Luzern: Von der Zentralschweizer Tourismusmetropole zum Steuerparadies?

Bis vor Kurzem war die Zentralschweizer Welt noch in Ordnung: Die Kantone Zug, Schwyz und Nidwalden galten als wohlhabend – Nettozahler im Finanzausgleich –  und waren berühmt für ihre tiefen Steuern sowohl für Unternehmen wie für reiche Privatpersonen. Luzern, Obwalden und Uri dagegen waren verrufen als Hochsteuer-Standorte. Dies drückte sich auch in der Steuerbelastung aus: Im Jahr 2000 bezahlte ein/e Einkommensmillionär/in Zug, Schwyz und Stans (NW) weniger als 15 Prozent Steuern. In Sarnen, Altdorf und Luzern jedoch zwischen knapp 17 und über 22 Prozent.

Diese Zweiteilung ändert sich jedoch, wie der Vergleich für 2009 zeigt: Nun ist die Belastung eines Einkommens von einer Million Franken in 5 von 6 Zentralschweizer Hauptorten auf unter 15 Prozent gesunken. Einzig in Luzern ist sie noch höher (18.37%). Das zeigt: Im oberen Steuersegment besteht ein Zugzwang zur Steuersenkung. Das Buch „Wie Reiche denken und lenken“ zeigt dies am Beispiel von Obwalden, wo man zunächst auf degressive Steuern für Reiche setzte und nach dem Verdikt des Bundesgerichts die „Flat Rate Tax“ einführte. Auch Luzern versucht im Steuerwettbewerb mitzuziehen. So wurde die Vermögenssteuer per 2009 halbiert. 2010 wurden die Unternehmenssteuern um 25 Prozent gesenkt und 2012 soll nochmals eine Halbierung erfolgen. Ziel ist auch hier die Anwerbung gutsituierter Privatpersonen und von Unternehmen. Dabei setzt Luzern auch auf seine landschaftlichen Reize als historische Tourismusregion.

In der Luzerner Gemeinde Meggen kommen beide Faktoren zusammen: die kantonsweit tiefsten Steuern und eine reizvolle Lage. Entsprechend verlegte der millionenschwere Rohstoffhändler Marc Rich sein Domizil schon vor Jahren in die Gemeinde am Vierwaldstättersee. Neben Rich leben noch 12 weitere der 300 Schweizer Reichsten der Schweiz im Kanton Luzern (Bilanz, 300 Reichste, 2009). Dazu gehören ebenfalls aus dem Ausland zugewanderte Reiche wie der deutsche Finanz- und Beteiligungsspezialist Otto B. Happel oder der schwedische Sprachschul-Inhaber Bertil Hult. Aber auch in der Schweiz bekanntere Gesichter wie alt-Botschafter, Kunstsammler und Schlossbesitzer Ueli Sigg oder der Juwelier Jörg P. Bucherer sind mit von der Partie. Letzterer führt das Familienunternehmen Bucherer, 1888 gegründet, in 3. Generation. Ein Beispiel also für „alten“ Reichtum in Luzern. Doch wer waren die reichen LuzernerInnen im späten 19. Jahrhundert, als die Fremdenverkehrsindustrie viele wohlhabende ausländische Touristen in die Leuchtenstadt und die sie umgebenden Berge brachte?

Hans-Ueli Brunner hat die soziale Schichtung in der Stadt Luzern mit der Hilfe von Steuerdaten analysiert. Demnach gehörten 1891 in der Stadt Luzern 11% der Bevölkerung zur „Oberschicht“. Um 1910 versteuerten 115 reiche LuzernerInnen mindestens eine Viertelmillion Franken Vermögen. Ein Grossteil von ihnen gehört zur Kategorie der „Rentner“ und „Witwen“. Auf sie folgen Kaufleute, Bankiers, Ärzte und Hoteliers. Wie in allen Schweizer Städten, so ist auch in Luzern zu dieser Zeit eine grosse Dynamik zu beobachten. Neue Unternehmer lösen teilweise die alten Patrizier ab, die ihr Geld seit jeher mit Land- und Soldeinkünften gemacht hatten. Viele von ihnen, wenn auch nicht alle, verschlafen die wirtschaftliche Entwicklung, die nebst dem Tourismus auch die modernen Handels- und Investitionsbanken und die Industrie nach Luzern brachte. Deshalb mag es kein Zufall sein, dass der reichste Luzerner vor dem 1. Weltkrieg mit 2.1 Millionen Franken steuerbarem Vermögen ein sozialer Aufsteiger war: Anton Haas-Fleury, der es vom Bäckergesellen zum Banklehrling und schliesslich zum Aktienspekulanten geschafft hatte. Als besonders ertragreich erwiesen sich etwa die Aktien der milchverarbeitenden Industrie in der Zentralschweiz: bei der hauptsächlich mit US-amerikanischem Kapital gegründeten „Anglo Swiss Condensed Milk Co.“, in Cham (ZG), auch „Milchsüdi“ genannt. die 1905 mit der Pulvermilchfabrik von Henry Nestlé in Vevey zum späteren Grosskonzern Nestlé fusionieren sollte.

Ähnlich wie Haas-Fleury kannte Albert von Moos-Mazzola sich ebenfalls im Bankgeschäft aus. Doch war er zudem noch Industrieller (Eisen- und Stahlwerke von Moos in Emmenbrücke) und stammte von einer adligen und wirtschaftlich erfolgreichen Familie ab, deren Wurzeln in Luzern bis ins 14. Jahrhundert zurückreichen. Einst im Dienst der Habsburger tätig, wandten sich die von Moos im 17. Jahrhundert dem Eisenwarenhandel zu, später auch dem Textilgewerbe. Dass Patrizier auch mit Einkünften aus der Heimarbeit der Landbevölkerung Einkommen akkumulierten, ist nicht ungewöhnlich. Die weitere Entwicklung der von-Moos’schen Unternehmen und Beteiligungen zeigt dann sehr schön die Verbindung von Stahlproduktion, Elektrizitätsgewinnung und Bankwesen auf. Albert von Moos, der auch als städtischer Finanzdirektor agierte, gehörte um 1890 zu den reichsten LuzernerInnen. Diese sahen sich seitens der Landbevölkerung mit der Forderung nach einer Progression auf den Vermögenssteuern konfrontiert. Progressive Vermögenssteuern kannten bereits der Thurgau (seit 1832) und Basel-Stadt (seit 1840). In Luzern wurde der Ruf nach einer ähnlichen Besteuerung der Wohlhabenden bereits 1855 und 1864 laut, konnte sich jedoch nicht durchsetzen. 1885 wandte sich die Luzerner Kantonsregierung erneut gegen diese Forderung und qualifizierte sie als „kommunistisch“. Bis 1890 kam es zu einem teilweisen Meinungsumschwung. Nun stand eine massvolle Progression zur Debatte. Davon wären die 150 reichsten LuzernerInnen betroffen gewesen – nebst Albert von Moos etwa auch der Krienser Unternehmer Theodor Bell. Doch sie und andere vermögende Grossräte schafften es, die Vermögenssteuerprogression auf die kantonale Steuer zu begrenzen. Deren Steuersatz war niedriger als bei den kommunalen Steuern und die Staatssteuer wurde nur alle zwei Jahre erhoben. Dies wurde schliesslich im Steuergesetz von 1892 verankert. In der Geschichte versuchten wohlhabende Schichten, die Steuerprogression zu begrenzen, was gemäss manchen Forschern auch zur relativ tiefen Steuerbelastung in der Schweiz und zur schwachen Vermögensumverteilung beigetragen hat. In den letzten Jahren geht es hingegen stärker um die Anwerbung von Reichen aus anderen Kantonen oder aus dem Ausland. Im Fall von Luzern soll dies nicht nur mittels tieferer Steuersätze geschehen, sondern auch mittels der Ausscheidung von Villenzonen. Historisch ist das allerdings nicht ganz neu, waren doch Gutbetuchte vor dem Inkrafttreten von Raumplanungsgesetzen ebenfalls privilegiert in ihren Bauwünschen und Wohnmöglichkeiten.

Quellen: 
Brunner, Hansruedi (1981). Luzerns Gesellschaft im Wandel die soziale und politische Struktur der Stadtbevölkerung, die Lage in den Fremdenverkehrsberufen und das Armenwesen 1850-1914. Luzern Stuttgart: Rex-Verlag.

Eidg. Steuerverwaltung, Steuerbelastung in den Kantonshauptorten 2000 und 2009, Bern: ESTV.

Gewerbeverband des Kt. Luzern, Stellungnahme zur Steuergesetzrevision 2011 vom 5. Juni 2008.

Historisches Lexikon der Schweiz (www. http://hls-dhs-dss.ch)

Messmer, Kurt und Peter Hoppe, Luzerner Patriziat. Sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Studien zur Entstehung und Entwicklung im 16. und 17. Jahrhundert, (Luzerner Historische Veröffentlichungen, 5). Luzern: Staatsarchiv des Kantons Luzern 1976.

Nachrichten.ch, Eintrag vom 22.3.2010: Luzern erlaubt Villenzonen für Reiche.

Regierungsrat des Kt. Luzern, Bericht des Regierungsrates an die Stimmberechtigten zur Volksabstimmung vom 7. Juli 2009, Vorlage A. Änderung des Steuergesetzes (Teilrevision 2011), Luzern 2009.



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